Intuitives Essen

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  • Beitrags-Kategorie:Gesundheit
  • Beitrag zuletzt geändert am:16. April 2023
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Ernährung | Die richtige Ernährungstherapie bei Essstörungen

Gudrun Nebel

Mehr als die Hälfte aller heranwachsenden Frauen leidet zumindest zeitweise unter einem gestörten Essverhalten. Dazu zählen Diäten, Heißhungerattacken oder selbstindiziertes Erbrechen. Eine krankhafte Essstörung wird bei drei bis fünf Prozent der deutschen Bevölkerung diagnostiziert. Die Dunkelziffer liegt aber deutlich höher. Etwa 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen 11 und 17 Jahren zeigen Symptome von Essstörungen, wobei Mädchen und Frauen häufiger betroffen sind als Jungen und Männer (repräsentative Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland DEGS1).

Mittlerweile sind in den ICD-10 acht verschiedene Essstörungen beschrieben. Dazu gehören Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und Binge-Eating-Störungen. Betroffen sind meist junge Menschen.

Bei allen bekannten Essstörungen haben die Betroffenen ihr Körpergefühl zum Grundbedürfnis Essen ganz oder teilweise verloren.

Genau da greift die Ernährungstherapie „Intuitives Essen“. Die Intuition, als Körper- oder Bauchgefühl bekannt, ist der sechste Sinn. Sie hat nichts mit dem Verstand zu tun, wird aber nicht von äußeren Einflüssen geprägt. Bei allen Essgestörten ist die Fähigkeit, die Intuition zu spüren und danach zu handeln, nicht mehr vorhanden. Mit der Ernährungstherapie „Intuitives Essen“ besteht die Möglichkeit, aus dem Teufelskreis Essstörung wieder auszusteigen.

Praxisfall: Bulimia nervosa bei Julia

Julia, eine 24-jährige Studentin, kam zum ersten Mal im Alter von 14 Jahren auf die Idee, sich nach dem Essen zu übergeben. Sie sieht die Szene immer noch genau vor sich. Ihre Mutter, eine extrem schlanke und ehrgeizige Frau, hatte Julia während des Mittagessens mit Freunden vorgeworfen, zügellos zu sein. Julia wollte einen Nachschlag. Die Mutter erzählte den Freunden, dass sie Julia zu dick finde. Deshalb habe sie das Essen für Julia rationiert. Aber es klappe nicht. Julia brauche regelmäßig einen Nachschlag. Außerdem nasche sie häufig.

Julia war sehr gekränkt. Sie ging in das Badezimmer und erbrach sich zum ersten Mal. Dieses Verhalten optimierte sie dann. Sie aß nur noch das, was ihre Mutter auf ihren Teller legte. Das war extrem wenig. Zweimal in der Woche ging die Mutter abends zum Sport. Von ihrem Taschengeld kaufte Julia große Mengen Essen bei einem Discounter ein. Toastbrot, Nuss-Nugat-Creme, Erdnussbutter, Fertigkuchen, Mayonnaise, Ketchup, Käsescheiben und weiche Süßigkeiten. Sie versteckte alle Einkäufe in ihrem Zimmer. An den Sportabenden ihrer Mutter aß sie ihre riesige Essensration innerhalb von kurzer Zeit auf. Den Abfall entsorgte sie sofort ein paar Häuser weiter. Dann ging sie in das Bad, um sich zu erbrechen. Die Mutter bemerkte das Verhalten von Julia nicht. Über sechs Jahre, bis Julia auszog. Da war die Krankheit Bulimie nervosa bereits manifestiert. Julia machte in ihrer eigenen Wohnung genauso weiter. Jetzt ging es viel leichter. Erst als Julia im Alter von 24 Jahren mit ihrem Freund zusammenzog, machte sie sich Sorgen um die Zukunft. Max sollte nichts von ihrer schrecklichen Gewohnheit mitbekommen. Denn Julia ekelte sich selbst davor. Sie schämte sich für ihre Essattacken, für ihr Erbrechen und für ihr Übergewicht. So kam Julia zu mir in die Praxis.

Auslöser für Essstörungen

Essen ist nicht nur ein Grundbedürfnis. Es dient auch dazu, ein Wohlgefühl zu erzeugen oder einen sinnlichen Genuss auszulösen. In jedem Fall ist das Essen mit Gefühlen und Vorstellungen verbunden.

Diese können auch negativ sein:

1. Angst vor dem Essen
Es besteht eine große Unsicherheit, was, wieviel und wann gegessen werden darf. Was ist angemessen, was ist bereits unangemessen? Viele Betroffene haben das Maß verloren und versuchen, sich an anderen Personen zu orientieren. Aber die Angst, etwas falsch zu machen, ist immer vorhanden.

2. Essen für die Emotionen
Angenehme und unangenehme Empfindungen wie Stress, Ängste, Langeweile, Einsamkeit, Ärger oder Belohnung werden mit Essen beantwortet. Es wird nicht aus Hunger gegessen, sondern aus dem Affekt heraus.

3. Gewichtsabhängiges Essen
Das Gewicht ist maßgeblich entscheidend, ob überhaupt gegessen werden darf. Bereits eine geringe Gewichtszunahme löst Zwänge und Ängste aus. Es werden sofort die bekannten Gegenmaßnahmen ergriffen. In anderen Fällen kann es auch sein, dass resigniert wird. Dann entsteht ein völlig unkontrolliertes Essen.

Die Ernährungstherapie „Intuitives Essen“ setzt genau an diesen drei Punkten an:

1. Die Angst vor dem Essen verlieren
Der erste Punkt der Therapie ist in drei Schritte unterteilt. Dabei geht es um das Erkennen von Hunger und Sättigung und den Unterschied zwischen Hunger und Appetit.

Schritt 1: Hungersignale erkennen
Die meisten Bulimia-Nervosa-Betroffenen haben Angst vor dem Essen. Denn sie wissen nicht mehr, was richtig und was falsch ist. Deshalb warten sie lieber ab, bevor sie eine schlechte Entscheidung treffen. Sie übergehen also zunächst ihren Hunger. Die natürlichen Hungersignale können sie gar nicht mehr zuordnen. Eine Heißhungerattacke kann nur dann auftreten, wenn dieser erste Reiz nicht richtig gespürt oder nicht mehr zugeordnet werden kann.

Die Patienten in der Ernährungstherapie lernen zunächst, typische Hungersignale zu erkennen und wahrzunehmen. Typische Hungersignale sind:

Flaues Gefühl in der Magengegend

Bauchschmerzen

Körperliche Schwäche

Kraftlosigkeit

Konzentrationsschwierigkeiten

Leichter Schwindel

Kopfschmerzen

Gereizte Stimmung

Die Betroffenen sollten während der gesamten Therapie eine Liste führen, in der sie ihre eigenen typischen Hungersignale aufschreiben.

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Schritt 2: Unterschied zwischen Hunger und Appetit erkennen

Die ersten Hungersignale sind für den Therapieansatz ganz wichtig. Das Wichtigste aber ist, dass sie sofort mit Essen beachtet werden. Mit dem Wahrnehmen vom Hungersignal und der anschließenden Reaktion, also dem sofortigen Essen, geben die Betroffenen ihrem Körper ein erstes, positives Zeichen. Sie haben das Signal verstanden und sie haben reagiert. Vielleicht haben sie sich zum ersten Mal wieder auf ihren Körper verlassen.

Die erste Vertrauensbasis zum eigenen Körper, zur körpereigenen Intuition ist aufgebaut. Bei beginnendem Hunger zu essen, ist ein Grundtrieb, und dieser muss gestillt werden. Anders als Appetit, der nur mit der Lust zum Essen zu tun hat. Hunger und Appetit werden häufig verwechselt. Der Appetit oder die Lust zum Essen werden aber anders als der Hunger von außen gesteuert. Appetit stammt nicht aus dem physiologischen Ablauf.

Appetit wird durch die Sinne erzeugt. Bilder und Düfte üben einen großen Einfluss auf den Appetit aus. Gerade, wenn sie mit positiven Erinnerungen verbunden sind. Diesen Unterschied müssen die Patienten wahrnehmen und umsetzen. Zur Überprüfung eignet sich die Liste mit den aufgetretenen Hungersignalen.

Schritt 3: Sättigungsgefühle erkennen

Die Sättigungsgefühle befinden sich im gleichen Gehirnbereich wie die Hungergefühle. Trotzdem gehören sie grundsätzlich nicht zusammen. Das Gefühl von einer angenehmen Sättigung verlieren viele Patienten bereits im Kindesalter. Da wurde von ihnen verlangt, den Teller leer zu essen. Bei Diäten wurden ihnen exakte Mengenvorgaben gegeben. Diese wurden strikt eingehalten, auch wenn sie vielleicht schon satt waren. Die Gefahr, das allererste Sättigungsgefühl zu verpassen, ist groß, weil die Betroffenen nicht wissen, wie sich das anfühlt. Sie müssen wieder lernen, die Signale zu spüren.

Das funktioniert nur, wenn jede Mahlzeit von Anfang bis zum Ende bewusst eingenommen wird. Während des Essens muss immer wieder innegehalten werden. Am Anfang der Therapie idealerweise nach jedem Viertel der Mahlzeit. Dabei soll das Besteck aus der Hand gelegt werden und man nimmt intensiven Kontakt mit dem Körper auf.

Folgende Frage sollen sich die Patienten dann stellen:

Ist noch ein Hungersignal vorhanden? Ja/Nein

In welchem Maße (wie viel Prozent) sind bereits Sättigungsgefühle vorhanden?

Hier arbeitet man am besten mit Listen, die während des Essens ausgefüllt werden.

Damit der Patient nicht abgelenkt ist und seine Sättigungssignale hört, ist es sinnvoll, in der ersten Zeit allein zu essen. Die Ablenkung in Gesellschaft ist gerade am Anfang viel zu groß.

2. Emotionales Essen

Wenn nicht aus Hunger, sondern aus Emotionen und Gefühlen gegessen wird, dann wird meist zu viel oder zu oft gegessen.

Die Ursache für emotionales Essen liegt im Unterbewusstsein. Es handelt sich um einen Hilfeschrei der Seele, der nicht mit Essen beantwortet werden kann, sondern nur mit der Erfüllung der fehlenden Bedürfnisse.

Es geht um die Erfassung von Situationen, die als Anlass für das emotionale Essen in Betracht kommen. Finden die Betroffenen keine Hungersignale, wollen aber trotzdem essen, dann entwickeln sich typische Auslöser. Das können sein:

Ablenkung

Stress – negativer und positiver Stress

Wut, Ärger, Angst, Sorgen

Langeweile und Einsamkeit

Das Signal Hunger kann nur mit Essen beantwortet werden. Alle anderen Bedürfnisse müssen anders bedient werden, um zufrieden und glücklich zu sein.

Dabei sind alle Mittel außer Essen erlaubt.

Die Patienten sollen motiviert werden, ihre Sinne einzusetzen, um sich zu verwöhnen. Möglich sind z.B. Bewegung, Entspannung, Lesen, Musik hören oder meditieren. Oftmals fehlt den Betroffenen eine konkrete Idee. Hier hat sich das gemeinsame Aufstellen von Bedürfnislisten während der Therapiesitzung bewährt.

3. Gewichtsabhängiges Essen

Für alle Betroffenen ist das tägliche Wiegen wichtig. Das angezeigte Gewicht gibt den Ausschlag über die Tagesverfassung und die Belohnungen oder Strafen.

Damit sie aus dem Teufelskreis herauskommen, ist der Verzicht auf Hilfsmittel sehr wichtig.

Dazu zählen die Köperwaage, Kalorientabellen oder Maßband. Es dürfen keine Lebensmittel für die eigene Ernährung abgewogen werden. Ein Ausschleichen der Hilfsmittel ist möglich.

Zusatzplus für den Patienten: Speiseplan mit Lieblingsessen

Der Therapeut erkundet zusammen mit dem Patienten seine früheren Lieblingsspeisen. Es ist für das intuitive Essen wichtig, dass diese wieder einen festen Platz im Speiseplan erhalten und nicht ausgegrenzt werden, weil sie eventuell zu viele Kalorien haben oder zu fetthaltig sind.

In dieser Ernährungstherapie gibt es überhaupt keine verbotenen Speisen. Alles ist erlaubt.

Intuitives Essen als Experiment – Fazit von Julia

Diese spezielle Ernährungstherapie, bei der es keine Verbote und keine Strafe gab, keine Ernährungsprotokolle und keine Waage, gefiel Julia sofort. Die Idee mit den Belohnungen und das Honorieren von Hungersignalen waren ganz nach ihrem Geschmack. Allerdings sah sie am Anfang wenig Erfolgsaussichten. Trotzdem ließ sich Julia auf das Ernährungsexperiment, wie sie es nannte, ein.

Gemeinsam erarbeiteten wir Julias Listen für die Hungersignale, die Sättigungssignale, die auslösenden Emotionen und ihre Bedürfnisse. Sie verschenkte ihre Badezimmerwaage und genoss sofort ihr neues Leben. Trotz positiver Einstellung kam bereits nach drei Wochen der erste Rückfall. Eine Essattacke, die Julia trotz ihrer peinlich genau geführten Listen nicht stoppen konnte. Mittlerweile ist Julia seit mehreren Jahren meine Patientin mit der Diagnose Bulimia nervosa. Die letzte Essattacke ist sechs Monate her. Ihre Motivation für das Experiment „Intuitives Essen“ gegen Bulimia nervosa hält immer noch an. Denn nach jedem Rückschritt gab es einen Erfolg. Die Rückschläge kommen immer seltener.

Julia hat zwar ein Ziel, aber es gibt keine Zeitvorgabe. Nur so kann es zu einer vollkommenen Genesung kommen. Mittlerweile hat Julia ihr Wunschgewicht fast erreicht. Sie hat erkannt, dass jedes Mal, wenn ihre Mutter besondere Ansprüche an sie stellte, der Gedanke an Essen ohne jegliches Hungersignal aufgestiegen ist. Daran arbeiten wir momentan mit weiteren zusätzlichen Therapien, wie z.B. Aroma-, Gesprächs- und Bachblütentherapie.

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Über die Autorin:

Gudrun Nebel

Gudrun Nebel ist Heilpraktikerin und berät seit über 25 Jahren Menschen in Sachen Ernährung und Gesundheit. Frau Nebel gibt ihr Wissen gerne weiter und bildet Ernährungs- und Gesundheitsberater, Bachblüten- und Aromatherapeuten an der Heilpraktiker- und Therapeutenschule Isolde Richter aus. Weitere Seminarthemen sind Fastenleiter, Ayurveda und die Orthomolekulare Medizin. Sie tritt als Referentin bei Kongressen auf und als Autorin schreibt sie Fachartikel und Bücher für renommierte Verlage. Ihr Buch „Rank und schlank durch intuitives Essen“ ist im FID-Verlag erschienen.

Kontakt: www.gudrunnebel.de

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