Kinder, Kinder…

  • Lesedauer:39 min Lesezeit
  • Beitrags-Kategorie:Beziehungen
  • Beitrag zuletzt geändert am:17. August 2023
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Kinder | Sensitive Kommunikation 

Dr. Michael Weh 

Sie sind unsere große Liebe, unsere Lebensaufgabe, unsere tiefste Freude … aber auch unerbittliche Lehrer in Sachen Geduld, Ausdauer und Toleranz. Sie decken oft unsere Schwächen auf, bringen uns an unsere Grenzen und darüber hinaus und lassen sie uns manchmal verzweifeln. Sie sind der Spiegel unserer eigenen Vergangenheit und unserer eigenen Defizite. Dennoch gibt es wohl biologisch und seelisch gesehen kaum eine wertvollere Aufgabe, als die, sich Kindern zu widmen und gemeinsam mit ihnen zu wachsen, so schwierig es in manchen Phasen auch sein mag. 

Khalil Gibran, der berühmte orientalische Dichter schrieb: 

„Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken; denn sie haben ihre eigenen Gedanken!“ oder: „Ihr seid der Bogen, von dem eure Kinder wie lebende Pfeile abgeschossen werden!“ 

Ich glaube, dem braucht nichts hinzugefügt werden, als die abschließende Bemerkung: 

Lasst uns nicht dominante Therapeuten unserer Kinder sein, sondern gütige Partner, die mit ihnen zusammen eine herausfordernde Aufgabe zu lösen haben und die gemeinsam daran erstarken! 

Am Beispiel der „Armkatalepsie“ (und verwandter Techniken), einer altbekannten aber potenten hypnotischen Methode, möchte ich zeigen, wie einfach man Kindern oftmals Impulse zur Selbsthilfe geben kann. Weiter folgen Fallbeispiele mit psychologischer Finesse, um Ihnen ad hoc ein kleines Repertoire an die Hand zu geben, wenn Sie in das brodelnde Schwimmbecken „Kindererziehung“ oder „-therapie“ eintauchen wollen. 

Der „hypnotische“ Arm 

Im Folgenden spreche ich einfach von dem „Patienten“, schon um das Alter außen vor zu lassen, denn alle Methoden funktionieren im Prinzip auch bei Erwachsenen. 

Man setzt sich vor den Patienten und hebt im Gespräch seinen dominanten Arm auf Augenhöhe, um die Armkatalepsie hervorzurufen. Die Hände des Behandlers unterstützen dabei Ellbogen und Handgelenk. Nun gibt man direkte oder indirekte Suggestionen, je nach Vorliebe oder je nach vermuteter Ansprechbarkeit des Patienten. Einfacher strukturierte, kritikarme oder eher weniger dominante Menschen sprechen oft sehr gut und schnell auf direkte Suggestionen an („Dein Arm wird steif und fest wie Holz!“). Für die meisten modernen Menschen im aufgeklärten Internetzeitalter – und Kinder sind hier oft weiter als die Älteren – wird jedoch die indirekte Methode („Es wird interessant sein, zu beobachten, welche Veränderungen sich in Deinem Arm ergeben werden; vielleicht eine Art Steifigkeit oder Starre, wie bei einem Stück Holz?“) eher angezeigt sein, weil sie keinen Widerspruch provoziert. 

Während man den Arm in der Luft hält und an den beiden Gelenken sanft unterstützt, gibt man die Trance einleitende Suggestionen und erzählt dem Patienten, dass sich der Körper in Trance oft anders anfühlt als im bewussten Wachzustand. Nun kann man die Aufmerksamkeit direkt auf den Arm lenken und von „Starre“, „Steifigkeit“ und „fest wie Holz“ sprechen. Aber selbst wenn man verbal gar nicht auf den Arm eingeht, wird sich die Katalepsie mit der Zeit von selbst entwickeln, weil sie ein natürliches Trancephänomen ist, das oft spontan auftritt. Dabei bewegt man seine Hände bzw. Fingerspitzen, mit denen man den Arm unterstützt, immer leicht auf und ab, um zu testen, inwiefern und -weit sich der Arm schon selbst trägt. Außerdem sind diese Bewegungen ein nonverbales Signal, was genau Sie von dem Patienten möchten. Sein Unbewusstes wird ganz automatisch verstehen, dass es den Arm langsam selbst halten möge. Man fühlt dann meist sehr bald, wie zuerst das Handgelenk, nach den Fingern, steif wird und zuletzt auch der Ellbogen. Zuerst kann man die eigene Hand unter dem Handgelenk entfernen und fließend über die nun steifen Finger des Patienten streicheln oder diese, einen nach dem anderen, leicht anheben. Dadurch wird dem Patienten offensichtlich gemacht, dass etwas mit Fingern, Hand und Arm geschieht. Sie sehen steif aus und fühlen sich für ihn ein wenig taub an! 

Zuletzt entzieht man auch dem Ellbogen die Unterstützung und im Allgemeinen wird der Arm nun steif und horizontal im Raum stehen, was die Trance des Patienten durch seine Beweiskraft weiter verstärkt. 

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Jetzt folgt die therapeutische Phase: 

Man kann nun diese Armkatalepsie zu einer sog. Hebelinduktion ausbauen, indem man dem Patienten suggeriert, er werde tiefer und tiefer in Trance gehen, je weiter der Arm nach unten sinkt. Und sobald die Hand den Oberschenkel berührt haben wird, sei er vollständig in hypnotischem Schlaf. Solche unlogischen, aber plausiblen Verbindungen, sind sehr wirksam, z.B.: 

„Nun wird der Arm langsam nach unten sinken … und geh nicht eher in den Schlaf, … als bis der Arm ganz unten angekommen sein wird. Du wählst genau die richtige Geschwindigkeit, … mit der du tiefer und tiefer in diesen ruhigen Schlaf gehen möchtest.“ (Anm.: Bei Kindern spricht man am besten von „Schlaf“ anstelle von „Hypnose“ oder „Trance“.) 

Eine weitere Variation dieses kataleptischen Armes ist der Traumarm, bei der man den Blick des Patienten auf die Hand lenkt und dabei in Aussicht stellt, er könne darin Träume sehen. Kindern gefällt diese Variation sehr gut. Sie kann auch benutzt werden, wenn sie wegen schlechter Träume Angst vor dem Einschlafen haben. Dann findet man schon vorher mit ihnen zusammen mithilfe des Traumarms geeignete Träume. 

Auch die Armlevitation wurde von klassischen Hypnotiseuren oft angewendet: Hier suggeriert man, dass einer der beiden Arme leichter ist und sich nach oben bewegen wird. Sobald ein Finger der Hand dann das Gesicht berührt, stellt man erwünschte Phänomene in Aussicht, wie z.B. eine Anästhesie des berührten Areals oder einfach, dass der Patient nun vollständig in Trance sei. Bei der Levitation muss man sich allerdings deutlich mehr Zeit lassen, weil man hier suggestiv ja gegen die Schwerkraft arbeitet. 

Lassen Sie uns diese Methode anhand eines Praxisbeispiels betrachten. 

Fall aus der Praxis 1: Schlafstörungen (Der Traumarm) 

Ein kleiner Junge (7 J.) kam mit seinem Vater in die Praxis und sie berichteten von dem Problem: Der Junge hatte Angst vor seinen Träumen und schlief deshalb schlecht ein bzw. rief immer wieder nach seinen Eltern, um das Einschlafen zu vermeiden. 

Ich gab dem Vater allgemeine Anweisungen zur Schlafhygiene, also dass TV am Abend tabu sei, dass das Bett nur zum Schlafen benutzt werden dürfe (nicht zum Spielen oder Essen), dass abends nur noch wenig gegessen und getrunken werden solle, usw. Auch instruierte ich den Vater, dass er dem Jungen jeden Abend ab jetzt zehn Minuten vorzulesen habe, worüber der Junge sich sehr freute, weil der Vater bisher keine Zeit dafür hatte; er musste immer am Computer arbeiten. Weiterhin gab ich dem Vater die Aufgabe, dem Jungen danach fünf Minuten lang den Rücken zu streicheln und die Haare vom Ansatz her nach hinten zu streichen, rhythmisch und langsam. Dies ist nicht nur bei Kindern ein sicheres Mittel, um Müdigkeit und Geborgenheit zu erzeugen! 

Dann nahm ich mir den Jungen vor, nahm ihn zur Seite, damit sein Vater nichts hören konnte, und klärte ihn auf, dass die Träume nicht selbst entscheiden, ob und wann sie in sein Gehirn gelangen. Und dies sei ein Geheimnis, das Erwachsene normalerweise nicht kannten. Er dürfe das auch niemandem verraten, nur anderen Kindern. Und nur wenn er sich nicht selbst darum kümmere, dann übernähmen die Träume die Entscheidung, welcher in sein Gehirn gelange. Die bösen seien am aufdringlichsten und drängelten sich immer vor die guten. Also müsse er das von nun an selbst übernehmen! 

Da schaute mich der Junge mit großen Augen an und war ganz fasziniert. Er wollte wissen, wie das vor sich gehe. 

Ich erklärte ihm den Traumarm (siehe oben), mit dem er aus einer Traumkiste im Kopf jeden Abend vor dem Einschlafen einen Traum seiner Wahl herausholen und dann im Bildschirm des Handrückens anschauen könne. Ich zeigte ihm, wie er den Arm heben müsse, mit einem Finger die Stirn berühren solle und so lange warten, bis der von ihm ausgewählte Traum in die Hand übertragen sei (so etwas kennen die Kinder heute von sog. Downloads per USB-Kabel in der Computerwelt). Dann könne er die Hand vor die Augen halten und den Traum als Film anschauen. Sobald sein Arm dann nach unten sinke, würde er in einen tiefen Schlaf fallen und den Traum dann mit geschlossenen Augen weiterträumen können (Suggestion: „Sobald der Arm sinkt, fällst du in einen tiefen Schlaf!“). 

Die Suggestion beinhaltet unausgesprochen, dass er den Arm so lange oben halten müsse, bis er einschläft. Alleine schon aufgrund der schnellen Ermüdung des hochgehaltenen Armes wird er zügig einschlafen. Denn ein Sinken des Armes OHNE Trance ist nach der angewendeten Suggestion (i.A.) nicht mehr möglich! 

Nochmals ließ ich mir versichern, dass dieses Geheimnis nicht an Erwachsene weitergegeben werden dürfe, nur an Kinder. Somit machte ich ihn zu meinem Verbündeten, was sein Selbstwertgefühl steigerte und ihm unbewusst signalisierte, dass er stark genug für diese Aufgabe sein würde. Auch stellte ich in Aussicht, dass sich seine Eltern sehr freuen und überrascht sein würden, weil er jetzt plötzlich mit guten Träumen schnell einschlafen werde. Dabei zeigte ich meine absolute Überzeugung, dass es so und nicht anders geschehen werde! 

Der Vater berichtete erst Monate später per E-Mail, weil er immer auf einen Rückfall wartete, dass sein Sohn praktisch jede Nacht seitdem problemlos geschlafen habe. 

Manchmal muss man die Kinder vor den gestressten Eltern schützen und mehr die Eltern therapieren als die Kinder selbst. Also behalten Sie immer das Gesamtbild der Familiensituation im Blickfeld (sog. systemische Therapie). In diesem Falle schien mir der Abend in der Familie des Jungen zu hektisch abzulaufen und dem Jungen schienen Geborgenheit und Liebesbeweise zu fehlen. Der Traumarm war letztlich nur noch eine Zugabe. 

An diesem Beispiel können Sie vielleicht erkennen, wie spielerisch nicht nur Therapeuten, sondern auch Eltern ihren Kindern – und damit sich selbst – helfen können, wenn sie einige Basics in hypnotischer Kommunikation beherrschen. Man muss kein Starhypnotiseur sein, um einfach Hilfen bieten zu können! 

Weitere Fallbeispiele ganz einfacher, hypnotischer Kunst sollen ihre persönlichen Möglichkeiten erweitern. 

Fall aus der Praxis 2: Kleinkind mit Durchschlafstörungen (Mantra-Singen) 

Die Eltern besuchten meine Praxis mit ihrem Kleinkind und waren sehr verzweifelt, weil ihnen das Kind jede Nacht viel Schlaf raubte, indem es i.d.R. fünfmal aufwachte, losschrie und nicht mehr aufhörte, bevor die Eltern es nicht aus dem Bett gehoben hatten und mit Körperkontakt, sanften Worten und Streicheln beruhigten (dieses Problem haben unzählige junge Familien!). Natürlich konnten die Eltern nicht – wie das Kind – sofort wieder einschlafen und waren nach einigen Wochen bereits wie gerädert. Man sah es ihnen an: Sie waren übermüdet und reizbar im Umgang miteinander. 

Ich muss noch hinzufügen, dass das Kind alleine – wie heute bei modernen Eltern üblich – in einem Bettchen im Nachbarzimmer lag, seit es zwei Monate alt war. 

Ich gab den Eltern das bekannte tibetische Mantra „Om Ah Hum“ an die Hand und erklärte ihnen, wie sie es anzuwenden hatten. Denn es genügt nicht, das Mantra im Problemfall einfach zu singen oder zu sprechen (mit monotoner, beruhigender Stimme) und auf eine magische Wirkung zu hoffen. Oft rezitieren Eltern das Mantra zehn Minuten lang und hören dann entnervt auf, wenn das Kind immer noch schreit. Wenn dies einige Male geschieht, dann passiert folgendes: 

Nun ist das Kind durch das Mantra geankert/programmiert: „Sobald ich das Mantra höre, geht es mir schlecht, fühle ich mich alleine und werde nicht in den Arm genommen.“ Dies ist nicht die Programmierung, die wir uns wünschen! 

Also singen Sie das Mantra zuerst immer dann, wenn es dem Kind ausgesprochen gut geht (frisch gestillt und gewickelt, spielend oder Lieblingsspeise essend …), um es positiv zu konditionieren, oder besser zu „ankern“, wie es im NLP heißt. Wenn Sie nach einigen solchen Programmierungen das Mantra dann singen, sobald das Kind nachts schreit, wird dies viel eher und nachhaltiger beruhigend wirken, weil das Kind dann die positiven Ressourcen von Geborgenheit, Zufriedenheit und Freude assoziiert! 

Auf jeden Fall dürfen Sie mit dem Singen oder Sprechen des Mantras NIEMALS aufhören, solange das Kind noch schreit und unglücklich ist! Halten Sie durch, bis das Kind ruhig ist und wieder einschlafen kann, auch wenn dies eine Stunde dauert (selten länger, da Ihre Anwesenheit ja auch schon Ruhe verströmt). 

Zudem sollten Mantras immer sehr monoton, ruhig, rhythmisch und liebevoll gesprochen werden. Alleine diese Stimmführung wirkt meistens Wunder. 

Einmal überführten wir mit dem Auto einen jungen Hund, weg von seiner Mutter, zu uns nach Hause. Unterwegs jammerte der Hund – verständlicherweise – unentwegt und erbrach sich mehrfach. Der Stress und die Trennung hatten ihn komplett überfordert. Wir wollten dem Kleinen helfen. Streicheln half nicht, denn er kannte uns Rudelmitglieder noch nicht. Also kam ich auf die Idee, das berühmte Mantra „Om Mani Padma Hum“ mit ruhiger Stimme zu singen. Dadurch war die Atmosphäre im Auto schnell eine ruhige und zuversichtliche, v. a. auch bei den Menschen. Es dauerte keine zehn Minuten und der Hund lauschte den Worten. Er wurde ruhig, obwohl er unsere Sprache nicht verstand, und er konnte den Rest der Fahrt in einem entspannten Dämmerschlaf verbringen. Mehr als diese zehn Minuten musste ich das Mantra nicht singen. Die Wirkung scheint vielleicht universell bei allen Säugetieren zu existieren oder sie übertrug sich von den Menschen auf das Tier. 

Fall aus der Praxis 3: Enuresis (Kognitives und unbewusstes Lernen) 

Ein kleiner neunjähriger Junge wurde wegen hartnäckiger Enuresis zu mir geschickt. Die Eltern waren geschieden und vermuteten schuldbewusst, dass dies der Grund dafür war, dass der Junge jede Nacht einnässte. 

Ich beruhigte sie und versicherte ihnen, dass auch Kinder aus „wohl geordneten Verhältnissen“ unter Enuresis leiden konnten und dass es zudem völlig gleichgültig sei, welche (nicht-organischen) Gründe es dafür gebe, da sich meine Therapie nur mit dem Jetzt befasse. Beide wirkten sehr beruhigt dadurch, was sich wiederum positiv auf die familiäre Situation auswirken dürfte. Denn was nutzen Schuldgefühle, wenn man an der Situation sowieso nichts mehr ändern kann? Die Eltern würden dem Jungen unbewusst nur zusätzlichen Stress aufladen, wenn sie ein Schuldgefühl mit sich herumtragen mussten. 

Organische Ursachen hatten sie durch Kinderarztbesuche bereits ausgeschlossen. 

Schnell gewann ich das Vertrauen des Jungen und schlug ihm vor, die Eltern bei der Therapie auszuschließen, weil er schon groß genug dafür sei. Er willigte bereitwillig ein. Als „Doktor“ erlaubte er mir auch, ihn beim Toilettengang – mit Einverständnis der Eltern – zu begleiten, zu dem ich etwas vorbereitet hatte, nämlich einen mit Wasser gefüllten Ballon und einen kleinen Eimer. Ich kniete neben dem Jungen, der auf der Toilette saß, und rief in seinem Unbewussten ein Idol auf, das für ihn vorbildhaft war (Batman!). Wir wollten spielen, wie Batman seinen Harnfluss beherrschen würde: 

Ich ließ ihn den Ballon mit dem kreisrund gebogenen Zeigefinger am Ende umschließen und verschließen. Immer wenn er seinen Harnstrahl laufen ließ, sollte er auch den Zeigefinger lockern, sodass auch Wasser aus dem Ballon in den Eimer plätscherte. Dann sollte er immer wieder den eigenen Harnstrahl anhalten und gleichzeitig den Ballonauslass mit dem Finger verschließen, indem er die ringförmige Fingerspannung erhöhte, sodass kein Wasser mehr aus dem Ballon fließen konnte. Dies übten wir in lediglich dieser EINEN Sitzung! 

Der Junge hatte in den drei Monaten danach, die mir bekannt sind, kein einziges Mal mehr eingenässt! 

Was habe ich getan? Ich ankerte bzw. verband die Kontrolle über den Wasserballon mit der Kontrolle seines Blasenschließmuskels so offensichtlich, wie dies möglich war – „ad oculos“ also – und motivierte ihn durch Imitation seines wichtigsten Vorbildes. 

Die Wirkung war nach Jahren elterlicher Odyssee von Kinderarzt zu Kinderarzt, mit diversen Therapien, wie Klingelhose und Adiuretin (Minrin-Tabletten), frappierend und schlagartig. Natürlich könnte es immerhin auch möglich sein, dass das Ende seiner Enuresis zeitlich zufällig zu diesem Zeitpunkt eingetreten war. Wahrscheinlicher ist aber die Wirkung der Therapie. 

Fall aus der Praxis 4: Positive Imagination des Zieles in der Zukunft 

Eine Schülerin suchte mich auf und berichtete von einem Lehrer (der ja ihre Arbeiten zu überprüfen und zu bewerten hatte), vor dem sie sowohl persönlich als auch fachspezifisch große Angst empfand. Sie hatte Angst, deshalb durchzufallen. Ob die Schülerin in diesem Fach gut oder schlecht war, interessierte mich für die Therapie nicht. Es ging mir um ihr psychisches Setting. 

Ich identifizierte mit ihr gemeinsam die Auslösesituation, nämlich den Anblick des Lehrers im Klassenzimmer, und ließ sie das Bild vom Erfolg imaginieren. Sie sollte sich also ganz einfach in ruhiger Entspannung die Unterrichtssituation vorstellen und sich selbst darin erleben, wie sie angstfrei vor dem Lehrer sitzt oder steht und alle Antworten weiß! Dieses Setting ließ ich die Schülerin insgesamt fünfmal imaginativ durchlaufen. 

Sie bewältigte das Schuljahr mit Bravour und empfand sogar Mitleid mit dem gestressten Lehrer, den sie nun mehr als Patient betrachtete und nicht mehr als Gefahr für sich! 

Nach Jahren fragte ich sie, ob sie sich an die Sitzung erinnerte. Sie erwiderte: „Wie könnte ich vergessen, wie ich zum ersten Mal erlebt habe, keine Angst mehr zu empfinden. Nur so habe ich das Fach geschafft!“ Sie konnte sich aber nicht an Einzelheiten erinnern. Dies ist typisch für das Vorgehen in hypnotischer Therapie! 

Fall aus der Praxis 5: Fingerlutschen bei Kleinkindern 

Vor dem vierten Lebensjahr sollte das täglich ausdauernde Lutschen eines oder mehrerer Finger bei Kleinkindern abgestellt sein, damit keine bleibenden Fehlstellungen der Frontzähne und des Kieferknochens entstehen bzw. von selbst rückgebildet werden können. Die erst nach dem vierten Lebensjahr persistierende Parafunktion muss dann später kieferorthopädisch aufwändig korrigiert werden (sog. „offener Biss“). 

Mit der folgenden Technik befreite ich unzählige Familien von dieser Sorge: 

Gewinnen Sie das Vertrauen des Kindes durch Spiel mit Handpuppen und lassen Sie diese dann zum Kind sprechen (im Sinne einer Verfremdung). Das Kind soll der Puppe zeigen, wie es am liebsten seinen bevorzugten Finger lutscht. Zuerst wird es unsicher sein, falls die Eltern dabei sind. Manchmal empfiehlt es sich, die Eltern aus dem Zimmer zu schicken oder dem Kind zu versichern, dass es hier nach Herzenslust lutschen darf. Dann schauen Sie dem Kind mindestens eine halbe Minute zu und fordern es auf, noch intensiver zu Nuckeln, weil es dann in seine selbst- induzierte Trance fällt! In diesem Zustand – und v.a. in diesem – ist es am zugänglichsten für Ihre folgenden Suggestionen! Ich ließ das Kind sich also selbst hypnotisieren. 

Wenn Sie nur den Wachzustand nutzen, kann es gut sein, dass Ihre Therapie nicht funktioniert, weil das Kind dann sequentiell dissoziiert ist, d.h. dass es im Wachzustand zwar zugänglich ist, aber in seiner Nuckel-Trance keineswegs! 

Wenn sich das Kind dann in Auto-Trance befindet, wie Sie unschwer an seinen schweren Augenlidern, seinem ruhigen Habitus und veränderten Hauttonus erkennen können, soll sich die Handpuppe bei ihm beschweren, dass lediglich der Finger der einen Hand (z.B. üblicherweise der rechte Daumen) bevorzugt und von der weichen Zunge gestreichelt wird. Der andere Finger wolle auch gelutscht werden, denn alles andere sei sonst ungerecht. 

Das Kind wird große Augen machen und oft spontan den anderen Finger (linken Daumen) in den Mund nehmen, um das Versäumnis nachzuholen! Sonst fordern Sie es dazu auf. Sie werden sofort erkennen, dass dies dann kein unbewusst-gewohntes Lutschen ist, sondern ein bewusst-unsicheres. Weiter fragen Sie das Kind, ob es denn nicht wisse, dass auch Finger Lebewesen seien, und zwar seine Freunde. Nehmen Sie dann – oder mit der Handpuppe – einen wasserfesten Filzstift und malen Sie jeweils auf den Fingernagel jedes zu lutschenden Fingers einen Smiley! Betonen Sie, dass das Kind in Zukunft sehr wohl Fingerlutschen darf, aber es müsse gerecht BEIDE Finger benutzen, ohne einen zu benachteiligen. Instruieren Sie auch die Eltern, dass das Kind ab jetzt lutschen darf, was Ihnen sofort zusätzliche Autorität und Sympathie – und damit Compliance (Befolgung Ihrer Anweisungen) – verschaffen wird. 

Sie werden überrascht sein, denn diese Methode ist sehr wirksam! 

Was habe ich getan? Ein programmiertes, unbewusstes Muster wird unterbrochen und die Wahlmöglichkeiten des kleinen Patienten werden erweitert. Dadurch kann er nicht mehr automatisch reagieren, sondern muss eine bewusste Wahl treffen, wodurch das entsprechende Engramm im Unbewussten mit der Zeit gelöscht wird. Zusätzlich ist dies eine Variation des Traumarmes, wobei hier die Phantasie des Kindes seine eigenen Finger zu fordernden Freunden macht. 

Variation: Eine einfachere Abwandlung der Methode besteht darin, lediglich ein Gesicht auf den gelutschten Finger zu malen und dem Kind zu versichern, dass sein neuer Freund Angst im dunklen Mund verspüre. Das dürfe es ihm natürlich nicht antun. Zudem würde das allzu schnelle Weglutschen der Farbe den Freund zum verschwinden bringen. 

Auch dadurch wird das unbewusste Engramm gelöscht, weil es ins Bewusstsein geholt wird bzw. durch eine Wahlmöglichkeit ersetzt wird. Normalerweise wird es nicht ohne Weiteres auf einen neuen Finger wechseln, weil es inzwischen reifer ist als bei der ursprünglichen Programmierung dieser Parafunktion. Falls doch, können Sie die Methode wiederholen. 

Sie sollten noch zusätzlich beachten, dass der Zweck des Verhaltens bei beiden Ansätzen ersetzt werden muss. Also der beruhigende Effekt des Fingerlutschens muss in irgendeiner Weise erfüllt werden. Dies kann ein zusätzliches Vorlesen von Kindergeschichten beim Einschlafen sein, ein anatomischer Schnuller als Ersatz oder intensive Streicheleinheiten durch die Eltern. Suchen Sie selbst eine neue Funktion, die den gleichen Zweck erfüllt! 

Schlussbemerkungen 

Für keine dieser vorgestellten Praxisbeispiele hypnotischer Kommunikation mit Kindern muss man als Therapeut oder Eltern einen expliziten Hypnosekurs besucht haben. Einfühlungsvermögen, eine ruhige und empathische Stimme, zusammen mit dem aufrichtigen Wunsch zu helfen, genügen völlig! 

Lassen Sie sich von dem Wort „Hypnose“ nicht abschrecken. Wir betreiben sie den ganzen Tag, wenn wir mit Menschen kommunizieren. Letztlich wirken ein mitfühlender Arzt oder Geistlicher ebenso wie die Krankenschwester, die Erzieherin im Kindergarten oder die besorgte Mutter genauso „therapeutisch“ auf ihr Gegenüber ein, wie ein ausgebildeter Psychotherapeut. Sie sollten es sich zutrauen, einfach tun. Was soll schon passieren? 

Und wenn gar nichts mehr funktioniert, dann bleibt immer noch die „wirksamste Psychotherapie der Welt“ übrig: 

Einfach in den Arm nehmen! 

Ihr enO (Dr. Michael Weh) 

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Glossar 

Armkatalepsie: Für Hypnose typisches Phänomen antagonistischer Innervation der Muskeln des Armes, woduch dieser wie starr oder steif erscheint. 
Hebelinduktion: Man verbindet das Sinkenlassen des Armes mit zielführenden Suggestionen.
Armlevitation: Durch ausdauernde Suggestion gelingt es, den Arm des Patienten quasi wie von selbst nach oben steigen zu lassen. 
Enuresis: nächtliches Bettnässen.
Engramm: hier: Konditioniertes Programm im Gehirn, das zu immer gleichen Handlungsabläufen führt. 
Parafunktionen: Gewohnheitsmäßige Fehlfunktionen, wie Fingernägelkauen, Lippenbeißen, Wangensaugen … 


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Ich umarme dich!

Über den Autor:

Dr. Michael Weh

Dr. Michael Weh „enO“ ist Heilpraktiker und meditativer Lehrer. Bekannt aus TV und Radio engagiert er sich seit über 30 Jahren erfolgreich in eigener Praxis für Angstpatienten und promovierte über Hypnose. Er entwickelte die hocheffektive „Narkohypnose“ (Hypnose plus Tranquillizer) und ist Begründer der iZen-Lehre®. Dr. Weh hat sich darauf spezialisiert, Menschen zu innerer Heilung und geistiger Freiheit zu führen, er unterstützt bei Persönlichkeitsentwicklung, hilft, Ängste und Zwänge aufzulösen und Ziele zu erreichen. Mehrfacher Autor von Büchern und CDs über Psychologie/Philosophie. Er unterrichtet Meditation in Würzburg.

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