Virtuelle Teams mit realen Bedürfnissen: Von der Online-Müdigkeit und der Sehnsucht nach echten Begegnungen

  • Lesedauer:14 min Lesezeit
  • Beitrags-Kategorie:Arbeit
  • Beitrag zuletzt geändert am:3. Juli 2023
You are currently viewing Virtuelle Teams mit realen Bedürfnissen: Von der Online-Müdigkeit und der Sehnsucht nach echten Begegnungen

#RemoteWork #Homeoffice #Arbeitsnomaden #digitaleEinsamkeit #virtuellesMiteinander

Petra Motte

Nachdem sich die Möglichkeit der Online-Arbeit als fester Bestandteil in unsere Normalität geschlichen hat, kennen manche kaum noch das Gefühl, sich mit Kolleginnen und Kollegen in der Teeküche auszutauschen, gemeinsam zum Mittagessen zu gehen oder auch sonst mal eben einen persönlichen Gruß über den Flur zu rufen. Stattdessen findet man in einstigen Büropalästen leere Gänge an. Nur selten verirren sich einige digitale Arbeitsnomaden in die früher mit fleißiger Betriebsamkeit gefüllten Räume.

In verschiedenen Sequenzen wechseln sich Arbeiten aus dem Homeoffice und in Präsenz an der Basis ab. Es ist spannend genauer hinzuschauen, wie sich die Menschen mit dieser Dualität arrangiert haben. Ist es das, was sie wollten? Entspricht es dem, was sie sich zuvor unter „Homeoffice“ vorgestellt hatten? Was macht es mit uns, wenn wir uns zwischen der virtuellen Arbeitswelt und realen Begegnungen „hin-und-her-organisieren“ müssen?

Der reale Arbeitsplatz hat Federn gelassen

Da freut sich manch einer schon auf die Begegnungen mit den Teammitgliedern, um dann zu erfahren, dass diese erst wieder an anderen Tagen vor Ort sein werden. Leicht enttäuscht geht es an die Arbeit. Dort ist erst einmal eine gewisse „Rüstzeit“ erforderlich, um sich wieder so einzurichten, wie es der Arbeitsablauf erfordert. Dass alles an seinem Platz ist wie in analogen Zeiten, gehört längst der Vergangenheit an. Eher teilen sich viele nun einen Arbeitsplatz, der mehr als Dockingstation zu verstehen ist, ausgestattet mit einer Steckdose und einem Online-Zugang. Ein persönliches Ambiente, mit dem man sich den Arbeitsplatz und damit den größten Teil der wöchentlichen Lebenszeit angenehm gestalten kann, ist nicht mehr möglich.

Stattdessen stehen für geplante Treffen und für den seltenen Aufenthalt vor Ort Work-Lounges mit dekorierten Pflanzenkübeln zur Verfügung. Mancherorts lockt eine moderne Kaffee- und Tee-Bar, alles vom Feinsten, alles gut sortiert, so wie die Menschen, die hier verkehren: Es ist meist leise, die Stimmung gediegen. Kleine persönliche Begegnungen finden in eigens aufgestellten Dialogmuscheln statt. Häufig fällt der Blick auf die Uhr – nicht selten mit einem Ausflug auf den Schrittzähler oder das digitale Fitness-Messgerät. Auf der Stirn macht sich schnell eine Falte des schlechten Gewissens breit, zu viele Online-Meetings, zu wenig Bewegung, gefangen in einer Kalender-Matrix.

Sofern man sich vorher digital verabredet hat, reicht es für ein kurzes Gespräch. Oft verbleibt nicht genug Zeit, da das nächste Treffen schon wieder im Kalender lauert. Ohnehin finden sich Kolleginnen und Kollegen nicht mehr so ohne weiteres zusammen. Schließlich kennt man sich nun seit fast drei Jahren überwiegend als kleine Kachel auf dem Bildschirm – und jetzt steht einem plötzlich die ganze Person gegenüber! Das triggert die sozialen Kompetenzen und zwingt einen auf ungewohnt gewordenes Parkett: Smalltalk, Gesprächsführung, Diskussion im offenen (realen) Raum. Wer es länger nicht erlebt hat, scheint aus der Übung gekommen zu sein. Was tun? Wieder versuchen, sich darauf einzulassen, um nach einer gewissen Anwärmphase in ein lebendiges Gespräch zu kommen? Oder schnell ins Homeoffice flüchten, um in mittlerweile gewohnteren digitalen Strukturen und Auf-Abstand-Begegnungen zu arbeiten und zu kommunizieren?

Homeoffice – nicht für alle ein Traum

Auch wenn mittlerweile viele Reiseanbieter damit werben, den perfekten Ort für Remote-Working zu kennen, ist das „Arbeiten von jedem Platz der Welt aus“ nur sehr wenigen Menschen möglich. Trotz aller ortsunabhängigen digitalen Lösungen gibt es organisatorische und rechtliche Restriktionen, die den überwiegenden Teil der Mitarbeitenden doch ins bewährte Homeoffice verorten. Zunächst wurde diese Möglichkeit hochgelobt, auch von solchen Unternehmen, die diese Form der Arbeit bis vor der Pandemie noch für ungeeignet oder unmöglich hielten. Die beruflichen und privaten Bedürfnisse gut unter einen Hut zu bekommen, war der Wunsch vieler moderner Heimarbeiter. Dass damit eine große Verantwortung und letztlich auch eine Vertrauensfrage einherging, veranlasste diverse Interessengruppen zu einigen Studien zu diesem Thema. Unter dem Strich arbeiten Menschen im Homeoffice demnach mehr, da sie sich die Zeit flexibel einteilen können und sicherlich auch aus der Gewissenslage heraus eine kleine Extraportion dazu geben. Aber sind diese Menschen glücklicher? Viele Gespräche und Diskussionen mit Betroffenen lassen den Schluss zu, dass die Vereinbarkeit von beruflichen Aufgaben und privaten Anliegen oft an die Grenzen der Belastbarkeit stößt.

Viele haben sich die Kombination beider Lebensbereiche in ein und derselben Wirklichkeit einfacher vorgestellt. Denn nur wenige verfügen über einen vom realen Leben abgetrennten Raum, um sich zu konzentrieren und auf die arbeitsrelevanten Themen einzulassen. Auch das Gefühl, in jedem Bereich nur halb vertreten zu sein, macht vielen zu schaffen. Oft bricht sich der gut organisierte digitale Arbeitstag an der Realität und lässt die beruflichen Notwendigkeiten wie in einem Kartenhaus im Nu zusammenbrechen. Wie sieht also die Zukunft aus?

Identitätskrise als Folge der Entfremdung

Einige meiner Klienten berichten, dass sie an einer gewissen Online-Müdigkeit leiden. Es sei eher müßig, über eine weitere Karriereplanung nachzudenken. Diese wäre schließlich nur mit noch mehr Online-Terminen verbunden und würde ansonsten zu keinen positiven Veränderungen führen. Die finanzielle Motivation sei dabei sekundär. Auch eine besondere Art der digitalen Einsamkeit scheint sich breit zu machen. Man hat einerseits viele Kolleginnen und Kollegen, andererseits fühlt man sich doch allein.

Woran lassen sich die Erfolge messen? Wie lassen sich mühsam erarbeitete Projektschritte kommunizieren? Dabei geht es nicht um die technisch messbare Komponente, sondern um das, was die Menschen im digitalen Raum vermissen – echte Anerkennung, Lob, Wertschätzung, sich gemeinsam freuen und Erfolge feiern.

Viele Führungskräfte legen dabei ein Verhalten an den Tag, als würde es die Virtualität gar nicht geben: Sie sitzen nach wie vor an einem Ort und führen ihre Gespräche so wie immer – nur eben digital. Als wäre es völlig normal, sich per Knopfdruck in ein Meeting zu schalten und seine pflichterfüllenden Texte herunterzurasseln. Dass jeder im Team auch mit ganz menschlichen Bedürfnissen in ein virtuelles Treffen kommt, bleibt oft ungeachtet. Keine Zeit zum Smalltalk, kein Austausch außerhalb der geplanten Agenda, eben nur Besprechung nach Plan. Und hoffentlich klappt das Teilen des Bildschirms einwandfrei. Denn spätestens dann verschanzen sich einige unsichtbar hinter ihrer Kamera und widmen sich womöglich völlig anderen Themen und Aufgaben.

Die Zeit ist einfach zu knapp, die Aufgaben zu komplex. Die Möglichkeit, diese zwischen den virtuellen Verabredungen proaktiv anzugehen, ist nicht gegeben. Vielmehr scheint es so, als haben sich die Arbeitsnomaden zu Meeting-Nomaden entwickelt, indem sie sich von einer virtuellen Verabredung in die nächste klicken. Und das möglichst ohne Pause. Die macht man zwischendurch, wenn einem das Thema nicht so zusagt und man sich eher in den Passivmodus schaltet.

Wie lange kann das gutgehen? Und weitere Fragen, die damit einhergehen: Womit identifizieren sich diese Menschen, die den ganzen Tag vor ihrem Computer sitzen und ihren Arbeitgeber irgendwo in diesem „virtuellen Raum“ haben – nicht greifbar, nicht sichtbar und schon gar nicht ansprechbar im Falle eines Konfliktes? Was ist die Motivation, die dazu führt, sich doch täglich auf diese Art der Arbeit einzulassen und seine Aufgaben zu erledigen?

Zwei Welten in einer Realität – ein vorsichtiger Kompromiss als Ausweg

Zum Glück ist das Leid der digitalen Einsamkeit nicht ein grundsätzliches Phänomen der modernen Arbeit. Vieles läuft in virtuellen Teams auch richtig gut und ist nicht zuletzt einer stabilen situativen Führungskultur zu verdanken, die das Dilemma der ortsfernen Inselarbeit erkennt und die damit verbundenen Aspekte zu würdigen weiß. Mit ein paar Gedanken zur Struktur und zum Charakter des Teams können schon kleine Maßnahmen dabei unterstützen, die Online-Arbeit attraktiver und erlebbarer zu machen – im wahrsten Sinne des Wortes.

Trotz aller digitalen Möglichkeiten und Notwendigkeiten, kann man sich eine Menge einfallen lassen, um positive Teamimpulse zu erzielen. Wünschenswert wäre natürlich ein Treffen in Präsenz. Das ist für internationale Teams aufgrund der geografischen Gegebenheiten kaum möglich. Trotz allem schaffen auch virtuelle Begegnungen außerhalb der normalen Agenda intensive positive Effekte, so dass sich ihr Einsatz sicherlich gut rechtfertigen lasst. Es gibt mittlerweile Unternehmen, die sich auf Online-Teambuilding spezialisiert haben mit dem Versprechen, durch enorme Motivationsschübe das digitale Klima zu verbessern. Das gelingt allerdings auch mit ein paar eigenen einfachen Überlegungen.

Ein gemeinsames virtuelles Mittagessen, das thematisch vielleicht noch unter ein bestimmtes Thema gestellt ist, schafft schnell neue soziale Verbindungen und wertet zudem das virtuelle Miteinander auf. Auch die Berücksichtigung örtlicher Feste, persönlicher Besonderheiten oder sprachlicher Eigenheiten ist ein beliebter Aufhänger, um der digitalen Einsamkeit und dem vermissten Teamgefühl entgegenzuwirken.

Letztlich liegt allen Maßnahmen dasselbe Ziel zugrunde: Der Mensch ist ein soziales Wesen und möchte als solches wahrgenommen und wertgeschätzt werden! Er möchte sich mit anderen Menschen austauschen und sich über diesen Austausch motivieren und weiterentwickeln. Dieses simple Naturgesetz ist in der digitalen Arbeitswelt leicht umsetzbar und kann die schwindende Identifikation wieder zurückbringen. Dazu ist es notwendig, zwischen den digitalen Informationen einmal genauer hinzuschauen, insbesondere zwischen den Zeilen zu lesen und auch in den virtuellen Begegnungen größtmögliche Empathie walten zu lassen.

Ach ja, dazu wäre allerdings der Kameraeinsatz sehr sinnvoll und deshalb absolut empfehlenswert. Auch wenn sich die betreffende Person nur über einen kleinen Ausschnitt im virtuellen Miteinander zeigen kann, so ist es doch die einzige Facette dieses Menschen, die uns in diesem Moment zugänglich ist. Trotz aller Bedenken und Ausflüchte, man möge doch die Datenleitung schonen, macht eine kleine persönliche Begrüßung zu Beginn jeder virtuellen Runde einen großen Unterschied und erinnert ein wenig an das, was viele vermissen: Ein kurzer Gruß über den Flur, ein warmherziges persönliches Willkommen und ein wertschätzendes Miteinander.

So verschieden diese Überlegungen auch sein mögen, es liegt ein gemeinsamer Tenor dahinter. Die Bemühungen, möglichst schnell und intensiv neue digitale Wege der Kommunikation zu finden, haben einen Trend ausgelöst: Die Lust auf noch mehr technische Tricks und Kniffe ist nur noch marginal. Viel stärker ist das Bedürfnis geworden, sich wieder mit den Menschen an sich zu beschäftigen. Letztlich brauchen wir diese Orientierung, um die Motivation für die digitale Arbeit aufrecht zu erhalten. Das Gefühl einer starken Gemeinschaft, die trotz der virtuellen Entfernung entstehen kann, ist für ein gesundes Arbeitsklima unabdingbar. Und wenn es dann noch Spaß macht – umso besser. Die digitalen Möglichkeiten sind selbstverständlich geworden. Und Selbstverständliches wird schnell uninteressant. Umso spannender ist es dann, wieder neue Impulse für das virtuelle Miteinander zu finden. Schließlich verbringen die meisten Angestellten einen großen Teil Ihrer Lebenszeit hinter dem Bildschirm. Und schon mit einer kleinen Prise Humor und Kreativität kann daraus die beste Zeit des Tages werden. Probieren Sie es aus!

Bücher der Autorin:

Online moderieren & virtuell gestalten

Über die Autorin:

Petra Motte

Petra Motte arbeitet seit vielen Jahren als Trainerin, Beraterin, Coach und Mediatorin. In Südostasien sammelte sie über 10 Jahre lang internationale Erfahrungen, die sie inzwischen auf Konzern- und Unternehmensebene einbringt. Prozessoptimierung, ganzheitliches Change-Management, virtuelle Entwicklung oder interkulturelle Fragen – die große Leidenschaft von Petra Motte sind die Menschen, die hinter den Zahlen stecken.

Kontakt:
+49 171 5456908
petra.motte@movasis.com
https://www.movasis.com

Anzeige

Weitere Literaturtipps zum Thema:

Teile diesen Beitrag: