Inhaltsverzeichnis
Geschenk ‒ Luxus ‒ Herausforderung
Hildegard Aman-Habacht
Viele von Ihnen werden sich jetzt vielleicht denken: „Welch ein Affront!“ Ja, ich verstehe die Empörung, und doch sind die Wechseljahre, die Jahre des Wandels, nicht nur herausfordernd, sondern auch ein Geschenk und letztlich sogar ein Luxus.
Unsere Hormone
Es beginnt schon lange vor der letzten Menstruation. So um das 40. Lebensjahr herum verändern sich die Hormone der Frau. Sobald ihr Körper beschlossen hat, dass es jetzt langsam Schluss wird mit Aufzucht und Nachwuchs von Sprösslingen, beginnt sich ein erstes Hormon etappenweise zu verabschieden. Es ist das Hormon der 2. Zyklushälfte: Progesteron. In dieser Phase, zwischen dem 40. und dem 50. Lebensjahr, kommt es nicht mehr in jedem Zyklus zu einem Eisprung.
Die ersten Veränderungen stellen sich schleichend ein, in Form von Energiemangel und schlechterem Schlaf, die ersten Fältchen machen sich bemerkbar und vielleicht auch das eine oder andere Speckröllchen um die Hüften.
Gleichzeitig wird auch das Hormon der 1. Zyklushälfte, Östrogen, weniger, allerdings schleichender und langsamer als Progesteron. Der Zyklus ist meist noch regelmäßig, jedoch oft schon verkürzter, wobei die Blutungen entweder schwächer oder auch viel stärker sein können.
Um den 50. Geburtstag herum beginnt die Menopause, der Zeitpunkt der letzten Regelblutung. Und damit begeben wir uns auf eine Achterbahn der Hormone. Viele Frauen kämpfen mit Hitzewallungen, Gewichtsproblemen, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen, bis hin zu Herzproblemen.
Doch das muss alles nicht sein!
Ein neues Mindset wird benötigt
Wenn unser Auto in die Jahre gekommen ist, treten wir es ja auch nicht mit Vollgas, ohne den Schalthebel zu benutzen. Wir gönnen ihm einen Service, einen Ölwechsel, den Austausch von Riemen etc. Genau das Gleiche dürfen wir jetzt bei unserem „Fahrzeug Körper“ bedenken: einen Gang herunterschalten, den Fuß vom Gaspedal nehmen, langsam durch die Weltgeschichte cruisen und ab und an Wohlbefinden, Wellness, Entspannung und Dinge, die die Gesundheit unterstützen, einfließen lassen.
Es ist ein neues Mindset, das wir uns aneignen sollten!
Mit dem Versiegen der Menstruation beschließt unser Körper, einzig und allein unsere Geschlechtsorgane in den Ruhestand zu schicken. Das bedarf einer Anpassung der Hormone. Die Jungs und die Mädchen in der Pubertät erleben genau das Gleiche in umgekehrter Richtung. Wir sind deswegen weder alt noch gehören wir zum ausrangierten Eisen – noch sind wir nicht mehr leistungsfähig oder gar durchgeknallt. Genauso wie in der Pubertät durchleben wir eine Wandlungsphase, die uns, unseren Körper, unseren Geist möglicherweise ganz schön fordert. Doch wir haben schon so viel an Erfahrung, Erkenntnis und Weisheit im bisherigen Leben angesammelt, dass diese Zeit nicht umsonst als Eintritt in die „reifen Jahre“ bezeichnet wird. Diese Weisheit gibt uns nun den Raum, den wir für die 2. Lebenshälfte benötigen.
Zeit der Veränderung
Zum einen ist es die Weisheit des Körpers: mit dem Versiegen der Menstruation hat die Frau alle Kraft für sich alleine. Nichts strömt mehr davon. Alle Energie bleibt bei ihr, die sie nun für das einsetzen kann, was sie schon immer tun wollte, wofür davor einfach keine Zeit war. Meist sind die Kinder groß bzw. viele von ihnen schon ausgezogen. Nun sind Zeit und Raum für das eigene ICH vorhanden. Der Körper unterstützt diese Situation sogar seinerseits. Das Hormon Östrogen, das Fürsorglichkeitshormon, ist mittlerweile am Tiefpunkt angekommen. Es reicht gerade noch aus, sich selbst genügend Fürsorge zu geben. Dieser Fakt ist wichtig zu wissen, denn verschleudern wir dieses bisschen Fürsorge, das uns noch möglich ist zu geben, bleiben wir selbst auf der Strecke. Also lassen wir doch alle um uns herum ihr Leben leben, das sie für sich gewählt und bestimmt haben, und kümmern uns um unser eigenes. Was könnte es Besseres geben, als dass unsere Körperfunktionen uns darin sogar noch unterstützen?! Es ist also die Zeit der Veränderung angebrochen. Und da stehen nun viele Frauen und bekommen die Panik. Jetzt ist es die Weisheit des Geistes, die zum Einsatz gerufen werden darf.
Wir haben so viele Jahre liebevoll Familie und Partner betreut, behütet, bedient, verwöhnt und umsorgt. Die Kinder sind aus dem Haus und meist darf jetzt die Partnerschaft neu gefunden, neu definiert werden – in einer neuen Freiheit und mit neuen Rollen!
Die Wechseljahre oder auch Wandeljahre, wie ich sie gerne nenne, sind der Übergang zu einer neuen Rollenverteilung.
Viele Frauen spüren die zusätzliche Energie, die ihnen nun zur Verfügung steht, und diese will auch genutzt werden, für eine Neuausrichtung. Tun wir das nicht, richten sich diese Energien, ähnlich wie bei einer Autoimmunkrankheit, gegen uns selbst. Schwitzattacken, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen & Co. werden in Buffetform angerichtet.
Nehmen wir doch das Geschenk von zusätzlicher Kraft an: Was ist es also, was wir schon lange verändern wollten? Wovon haben wir schon lange geträumt? Was sind die geheimsten Visionen? Die 2. Jugend hat begonnen, wir sind heiß, wir sind voller Tatendrang, voller Energie, voller Ideen. Diese wollen nur mehr umgesetzt werden, indem wir unsere Macht annehmen und hemmungslos das ausleben, was unser Körper von uns fordert.
Lassen wir uns einschüchtern, lassen wir der Industrie, der Medizin und den Meinungsbildnern die Chance, Ängste in Bezug auf die Wechseljahre zu nähren, dann bleiben wir auf der Strecke, mit allen Beschwerden, die uns versprochen wurden!
„Ich bin in den Wechseljahren und darum geht es mir nicht gut!“ Statt die Frauen zu motivieren, ihnen Glück zu wünschen für die größte Veränderung in ihrem Leben, für die 2. Jugend, werden sie in der Vergangenheit gehalten. Statt ihrem neuen Leben nachzukommen, wird den Frauen gezeigt, wie sie wetteifern um die beste Antifaltencreme, um den glattesten Teint, um die besten Medikamente für Schwitzattacken usw. So lernen viele Frauen das Geschenk und den Luxus der Wechseljahre gar nicht kennen, sondern leider nur die Interpretation als Krankheitssymptom oder auch als Tabuthema.
Jetzt stelle ich die Frage: „Wollen wir Frauen das wirklich?“
Freiheit und Selbstbestimmung
Oder wollen wir eine 2. Lebenshälfte in Freiheit, in Selbstbestimmung, als Vorbilder für unsere Jugend? Frauen in den Wechseljahren und danach finden oft ihren Traumjob, in dem sie vollkommen aufgehen und nicht nur sich, sondern auch ihr Umfeld erfüllen. Denn, geht es der Frau gut, geht es auch ihrem Umfeld gut. Ist sie gut gelaunt und voller Ideen, steckt sie ihre Lieben damit an. Wir brauchen, mehr denn je, gerade jetzt in dieser Zeit, Menschen mit Enthusiasmus, Empathie, Mut, Kraft und Lebensfreude.
Das sind die Geschenke der Wechseljahre, wenn wir uns darauf einlassen, uns hingeben und es zulassen. Nur dann können wir eine erfüllte 2. Lebenshälfte erleben. Als Frau in den Wechseljahren dürfen wir lernen, auf uns zu achten und nur das an uns heranzulassen, was uns nährt.
Stress ist einer der schlechtesten Begleiter auf diesem Weg.
Keinen Stress, bitte!
Sobald das Hormon Progesteron zu sinken beginnt, verlieren wir einen ganz wichtigen Mitkämpfer am Spielfeld gegen Stress. Progesteron hat all die Jahre vor den Wechseljahren, unter anderem, auch die Aufgabe, das Stresshormon Cortisol in Schach zu halten. Doch in den Jahren des Wandels funktioniert das nicht mehr so wie früher. Jede Umstellung, so auch die Wechseljahre, sind für den Körper fordernd und stressig. Der Cortisolspiegel im Blut ist unglaublich hoch und wirkt sich zusätzlich noch hemmend auf den Progesteronspiegel aus. Wenn dann auch noch Östrogen weniger wird, kann das Stresshormon Cortisol aus dem Gleichgewicht geraten.
Doch unser Körper hat noch ein kleines Ass im Ärmel: die Nebennieren. Sie übernehmen einen Teil der Aufgaben, die die Eierstöcke nach der Menopause nicht mehr vollbringen können, und produzieren gemeinsam mit Fettgewebe in geringen Mengen Östrogen und Progesteron.
Ab der Menopause, wenn beide Fortpflanzungshormone den niedrigsten Wert erreicht haben, kann Stress somit zur größten Falle für die Frau in den Wechseljahren werden. Stehen wir nämlich permanent unter Stress, so ist es unseren Nebennieren nicht möglich, ausgleichend einzugreifen. Da die eigentliche Aufgabe dieser Organe die Produktion von Adrenalin und Cortisol ist, bleibt ihnen keine Zeit mehr, die so notwendigen Fortpflanzungshormone Östrogen und Progesteron beizusteuern. Sie sind ausschließlich beschäftigt, dem Stress mit der entsprechenden Produktion von Stresshormonen nachzukommen. Für unser emotionales Wohlbefinden und unsere Knochengesundheit kann das fatale Folgen haben. Weitere Auswirkungen kennen wir alle meist nur zu gut: Depression, Gereiztheit, Gewichtszunahmen, Hitzewallungen, Erschöpfung, Schlafprobleme etc.
Auf welchem Fundament bauen wir ab jetzt auf?
Einmal mehr darf die mentale Seite zum Einsatz kommen und uns die Fragen stellen: „Wer/Was gibt mir Kraft?“ „Wer/Was nimmt mir Kraft?“ Alles, was uns Kraft kostet, bedeutet Stress –und das wiederum Energieverlust. In Zeiten des Wandels, wandelt sich auch das Rundum. Viele und vieles, die und das uns bis hierher begleitet haben, fällt plötzlich weg. Menschen steigen aus dem „Zug des Lebens“ aus und Ballast wird abgeworfen. Das darf sein und das ist auch gut so.
Auch das berühmte „Nein“-Sagen bekommt wieder seine Berechtigung. Doch damit verbunden, klopfen meist auch die Schuldgefühle an die Türe: „Darf ich das wirklich?“ „Ziemt es sich, mir diesen Raum zu nehmen?“ „Bin ich nicht verantwortlich dafür?“ „Aber ich muss doch…, es ist doch meine Aufgabe…, das ist ja nichts Besonderes…, ist ja eh gleich erledigt!“ usw. Jetzt stellt sich die Frage, woher diese Aussprüche, dieser Glaube, sprich die Glaubenssätze kommen? Haben das schon unsere Mütter, Großmütter, Tanten gesagt?
Es gilt, sich dessen bewusst zu werden und zu überprüfen, auf welchem Fundament ich mein Leben aufbaue.
Haben diese Glaubenssätze für mich selbst noch Gültigkeit oder sind sie einfach alt und übernommen? Sind sie für mich selbst noch stimmig? Dienen sie mir? Oder bin ich das eigentlich gar nicht mehr und möchte mich davon trennen?
Fazit
Die Wechseljahre fordern uns heraus, unser Leben zu überdenken, neu zu sortieren und neu auszurichten. Sie geben uns die Chance, zu unserem ureigensten Sein zu finden. Wir erhalten damit den Luxus, unsere 2. Lebenshälfte neu zu gestalten, neue Rollen für uns zu definieren, ganz wir selbst zu werden. Und das Geschenk, das darin enthalten ist, basiert auf Lebensfreude, Zufriedenheit, Freiheit, Entdeckerlust, Dankbarkeit, tiefer Liebe und für viele Frauen auf dem Schritt in eine gewisse Art von Spiritualität.
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Über die Autorin:
Hildegard Aman-Habacht
Herausgeberin Magazin Wechseljahre. Wechseljahre-Expertin
Kontakt: www.meine-wechseljahre.com, www.wechseljahrecafe.com