Auch im Alter brauchen wir Herausforderungen, Lob und Anerkennung

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In Kontakt bleiben | Würde in der Pflege durch Empathie und Wertschätzung

Birgit Goldenbow

Wenn wir durch den späten Alterungsprozess durchgehen, können wir nur hoffen, dass wir dies mit Freude und Würde tun werden. Doch je älter wir werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir Pflege brauchen und auf externe Hilfe angewiesen sind. Dabei kann es zwischen älteren und bedürftigen Menschen und ihren Angehörigen, Pflegekräften oder ehrenamtlichen Betreuern leicht zu Missverständnissen kommen, die sich zu echten Konflikten mausern. Denn häufig bleiben in der Pflege die Bedürfnisse und Ängste der Alten auf der Strecke.

Egal, ob Familienmitglieder die Pflege übernehmen, Pflegekräfte ins Haus kommen oder Senioren in einer altersgerechten Wohnanlage bzw. einer Pflegeeinrichtung leben: Oft wird sich nur um die körperlichen Gebrechen gekümmert. Wie sich der Mensch fühlt, ist zweitrangig. „Dafür haben wir keine Zeit in der Pflege!“, erklären die Mitarbeiter in Seniorenwohnstätten. Und erwachsene Kinder beschweren sich, dass ihre Eltern nur noch meckern oder über Krankheiten klagen. Sie versorgen sie mit dem Nötigsten und machen sich wieder auf den Weg.

Dabei ist gerade das seelische Wohl der entscheidende Faktor für das Wohlbefinden im Alter.

Und das hängt von unseren sozialen Kontakten ab und der Möglichkeit, Gefühle und Bedürfnisse auszudrücken. Wer das nicht kann, läuft Gefahr zu meckern oder in Depressionen zu verfallen.

Für Personal und Angehörige ist es in der Regel einfacher, sich mit denen zu beschäftigen, die freundlich und offen sind. Aber das Leben für die Zurückgezogenen besser zu gestalten, kann besonders erfüllend sein. Nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für Pflegekräfte und Angehörige.

Pflege anzunehmen, fällt vielen nicht leicht

Für viele ist Pflege Zuhause oder der Umzug in eine Pflegeeinrichtung schwer. Insbesondere für Menschen, die es ihr Leben lang gewohnt waren, selbstbestimmt zu leben und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Durch die frühere Unabhängigkeit fällt es ihnen schwer, Langzeitpflege zu akzeptieren. Denn sie geben etwas auf, was sie ihr ganzes Leben ausgezeichnet hat.

Männer zwischen 70 und 90 sind besonders betroffen, denn sie sind mit Werten wie Stärke, Kontrolle und Unabhängigkeit aufgewachsen. Einschränkungen können sie schlecht verkraften. Frauen aus dieser Generation zeichnen sich dadurch aus, dass sie Kinder und Haushalt im Griff hatten und sich um alles kümmerten. Beide haben ihr Aufgabenfeld eingebüßt. Manche fühlen sich nutzlos, weil sie nichts mehr zur Gesellschaft beitragen oder es belastet sie, auf Hilfe angewiesen zu sein.

Männer ziehen sich häufig zurück, werden wütend oder fallen in eine Depression. Aber auch Frauen leiden darunter, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, sich zu kümmern.

Wertschätzung und Freude in den Alltag von Pflegebedürftigen bringen

Der Alterungsprozess kann schwierig sein. Besondere Schwierigkeiten haben diejenigen, deren ganzes Leben darauf konditioniert war, stark und unabhängig zu sein und eigene Entscheidungen zu treffen. Das trifft bei den heutigen Senioren häufig auf die Männer zu. Sie können durch die altersbedingten Verluste am Boden zerstört sein. Das Gefühl, nichts mehr zur Gesellschaft beizutragen und in täglichen Anforderungen – etwa beim Anziehen, der Körperpflege oder der Nahrungsaufnahme – von anderen abhängig zu sein, belastet Männer stärker als viele Frauen.

Für viele Männer war der Arbeitsplatz zentraler Bestandteil in ihrem Leben. Er bedeutete nicht nur regelmäßiges Einkommen, sondern bestimmte auch ihre Selbstwahrnehmung und das Selbstwertgefühl. Unglücklicherweise wird das eigene Gefühl der Wertlosigkeit durch den Arbeitsplatzverlust auch noch dadurch unterstützt, dass alte Menschen in unserer Gesellschaft als mehr oder weniger nutz- und wertlos angesehen werden.

Durch die Werte der 1930er- bis 1950er-Jahre – die für diese Generation prägend waren – gilt es als besonders männlich, hart zu sein und keine Gefühle zu zeigen. Auch unter dem Verlust ihres Lebenspartners leiden Männer deshalb emotional stärker als Frauen. Oft war die Ehefrau der einzige Mensch, mit dem ein Mann über Gefühle gesprochen hat. Denn anders als bei Freundschaften unter Frauen tauschen sich Männer in ihren Kreisen selten über ihre Gefühle aus. Vielmehr vergleichen sie ihre Errungenschaften oder sind durch gemeinsamen Sport verbunden. Im Alter ziehen sich deshalb viele Männer zurück. Recherchen dagegen ergeben, dass Männer, die einen Freundeskreis pflegen, besser mit dem Altern umgehen.

Den Bedürfnissen älterer Menschen gerecht werden

Wenn man die Bedürfnisse Pflegebedürftiger nach Wertschätzung, von-Nutzen-sein und sozialen Kontakten berücksichtigt, können Angehörige oder Pflegekräfte zuhause, aber auch Mitarbeiter in Seniorenwohnsitzen den Tagesablauf so gestalten, dass sie ihnen gerecht werden. Das braucht keine extra Zeit, zaubert aber bei den Betroffenen ein Lächeln ins Gesicht.

Arbeiten sie Momente in den Alltag ein, die den Senioren das Gefühl von Erfolg, Unabhängigkeit und Wohlgefühl geben.

Insbesondere Männer brauchen das Gefühl, ein greifbares Ziel erreicht zu haben. Auch das kann man in die Pflege einbauen. Setzen Sie Zeitziele zum Waschen und anziehen, bauen Sie Körperübungen ein und zählen Sie die Anzahl der Durchführungen. Je nach Gesundheitszustand reicht es, ein Tuch in die Luft zu werfen oder Kniebeugen durchzuführen. Das fördert auch bei Frauen die Beweglichkeit. Für Männer eignen sich besonders technische Gedächtnisübungen oder Matheaufgaben, während Frauen gern Lieder singen und Geschichten erzählen. Auch Fitnessangebote gewinnen an Bedeutung, wenn Männer hier individuelle Ziele erreichen können. Lassen Sie sich überraschen, wie vierteljährliche Auszeichnungen die Motivation zur Teilnahme steigen lassen.

Fragen locken wunderschöne Erinnerungen ans Tageslicht

Ein anderer Weg führt über das Gespräch. Aber Gespräche über den jetzigen Alltag führen häufig zu Beschwerden über das Essen, über Krankheiten, Angehörige oder Pflegekräfte.

Verändern Sie das Gespräch.

Bereiten Sie Fragen vor, die das Gespräch in eine angenehme und interessante Richtung lenken. Das kann helfen, Besuche interessant und fröhlich zu gestalten. Dabei ist es sinnvoll, auch auf die Kindheit und Jugend der älteren Menschen einzugehen. Denn wenn der Kreislauf des Lebens sich schließt, ist vielen die Kindheit und Jugend näher als die Lebensmitte. Dies gilt insbesondere für Menschen mit Demenz.

Hier ein paar Beispiele dazu, was ich schon immer mal fragen wollte:

Kannst Du Dich an Deinen ersten Kuss erinnern?

Wie hast Du Mama kennengelernt?

Wer war Dein Kindheitsheld?

Welches Buch / Welcher Film hat Dir als Kind gefallen?

Wen würdest Du gerne einmal treffen?

Welchen Ort hast Du als Kind geliebt?

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Wer war Dein bester Freund in der Schule?

Wo bist Du gerne am Wochenende gewesen?

Welche Hobbies hattest Du als Kind?

Was war Dein schönstes Urlaubserlebnis?

Was war Dir im Beruf besonders wichtig?

Wer oder was hat Dir in Deinem Leben besonders viel bedeutet?

Suchen Sie sich Themen aus, die wahrscheinlich mit positiven Gefühlen besetzt sind.

Viele Angehörige berichten, wie sie ihre eigenen Eltern noch einmal ganz anders kennengelernt und ihren Besuchen nun mit einer neuen Vorfreude entgegengesehen haben.

Auch Pfleger und Betreuer setzen die Fragen gern ein, um Bewohner auf andere Gedanken zu bringen. Auch wenn sie nicht lange zuhören können, entspinnt sich eine persönliche Beziehung. Insbesondere wenn sie beim Gehen sagen: „Ich könnte Ihnen noch stundenlang zuhören, muss aber jetzt weiter. Ich freue mich darauf, beim nächsten Mal mehr darüber zu erfahren.“ Ein weiterer Vorteil: Die meisten Bewohner schwelgen noch ein Weilchen in positiven Erinnerungen.

Niemand wurde alt geboren!

Nehmen Sie sich die Zeit, die Erfolge und Errungenschaften im Leben aufzuzeichnen und wieder hervorzuholen. Hängen Sie zuhause oder in der Pflegeeinrichtung Bilder, Fotos oder Diplome an die Wände. So haben Pflegekräfte, die ins Zimmer kommen, ein Thema, über das sie sprechen können. Auch Kinder und Enkelkinder können hieran anknüpfen und lernen ihre Eltern / Großeltern durch Gespräche über die besonderen Momente aus deren Leben neu kennen. Besonders schön ist es, wenn das Leben in einer Art Biografie gefeiert wird. Nehmen wir das Gespräch auf, können wir das Erzählte anschließend aufschreiben und daraus eine Biografie gestalten. So bekommt das Leben einen besonderen Wert. Und wenn es auf die letzten Tage zugeht, können wir dem Sterbenden aus dem Buch vorlesen und es durch eigene Erinnerungen ergänzen.

Wer fit ist, braucht Beschäftigung und Anerkennung

Schaffen Sie Möglichkeiten, kleine Jobs zu erledigen. Männer übernehmen gerne kleine Aufgaben, wie das Zusammenrufen der Mitbewohner zu Aktivitäten. Das Austauschen von Glühbirnen oder andere Reparaturen zeigen ihnen, dass sie nützlich sind. Frauen lieben es, zu backen, zu stricken oder zu basteln. Auch Artikel oder Interviews für die hauseigenen Publikationen werden gerne geschrieben. Wer bei den Eltern zuhause hilft, kann beispielsweise die Mutter nach ihren Rezepttipps für das Gericht fragen, das sie kochen wollen, oder die Mutter bitten, Kartoffeln zu schälen. Der Vater könnte einen Artikel aus der Zeitung vorlesen, während man selbst das Essen vorbereitet. Und nicht vergessen, sich dafür zu bedanken. Denn das gibt ein schönes Gefühl und erfüllt das Bedürfnis, „nützlich für andere zu sein“ – eins der wesentlichen menschlichen Bedürfnisse.

Nicht alle Menschen werden darauf anspringen. Es gilt das zu finden, was erfüllend ist. Manchmal muss man dabei etwas tiefer graben, um Aufgaben zu finden, die dem Menschen Freude machen oder seine besonderen Fähigkeiten ansprechen.

Angebote ausweiten

In vielen Seniorenwohnstätten liegen auch heute noch nur die üblichen Fernsehzeitschriften, Frauenmagazine und Broschüren über das Haus aus. Männer lesen anders. Wer früher gerne Autos repariert hat, mag heute vielleicht technische Magazine lesen oder Kataloge vom Baumarkt durchblättern. Auch Sportzeitschriften oder Finanzmagazine finden ihre Anhänger. Wo gibt es einen Skat- oder Schachabend im Angebot oder einen Filmabend mit Action- oder Sportfilmen? Bieten Sie abwechslungsreiche Beschäftigungsmöglichkeiten an.

Ältere Menschen blühen auch auf, wenn sie generationsübergreifende Aufgaben erhalten. Wenn sie keine eigenen Enkel haben, können auch die Kinder aus der Nachbarschaft helfen. In einigen Seniorenwohnstätten gibt es Verbindungen zu Kindergärten, die aber oft nur einseitig genutzt werden. Die Kinder kommen zu St. Martin oder Weihnachten und singen für die Alten.

Können Menschen ihr Wissen, ihre Erfahrung oder Fähigkeiten weitergeben, bekommt ihr Leben Bedeutung und Anerkennung.

Zum Reden bringen

Recherchen zeigen, dass soziale Kontakte eine wesentliche Rolle beim Bewältigungsverhalten spielen. Suchen Sie Menschen mit ähnlichen Interessen in der Einrichtung bzw. in der Nachbarschaft. Finden Sie Ehrenamtler, die sich für die Themen interessieren und Ihre Angehörigen besuchen. Häufig eignen sich frisch Pensionierte, die eine Aufgabe suchen.

Wenn sich ein Mensch nicht öffnen mag oder Sie einfach nicht an ihn herankommen, nutzen Sie die Unterstützung von Dritten. Ein Gespräch mit einem Mediator kann helfen, sich den persönlichen Ängsten, Sorgen und Bedenken zu stellen und sie aufzulösen. Ein Mediator ist darauf geschult, in Gesprächen mit mehreren Konfliktparteien die Gefühle und Bedürfnisse hinter Beschwerden und Vorwürfen zu erkennen und seinen Medianten dabei zu helfen, einander zu verstehen und das Problem gemeinsam zu lösen. Diese Methoden wendet er auch im Einzelgespräch an. Besonders feinfühlig für die kritischen Themen des Lebensabends sind Mediatoren, die sich auf Altersmediation spezialisiert haben, denn sie sind mit der Thematik des Alterns bestens vertraut.

Fazit

Ältere Menschen müssen sich vielen Herausforderungen stellen, darunter die immer kürzer werdende Lebensspanne, die ihnen bleibt, steigende Gesundheitsprobleme und schrumpfendes Selbstwertgefühl. Indem wir Maßnahmen nutzen, die den speziellen Bedürfnissen des Menschen gerecht werden, tragen wir viel zum Wohlbefinden und dem Gefühl von Wertschätzung und Unabhängigkeit bei.

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Über die Autorin

Birgit Goldenbow

Birgit Goldenbow ist ausgebildete PR-Beraterin, Kommunikationstrainerin und Mediatorin. In Schottland hat sie selbst 18 Monate in Betreuung und Pflege gearbeitet. Seit der Gründung des Altersmediationszentrums 2013 widmet sie sich ganz dem Thema Generationen im Dialog. Sie betreut Familien, Pflegeeinrichtungen und Seniorenwohnsitze zu allen Themen der wertschätzenden Kommunikation, Empathie und Mediation und hilft Bedürftigen und ihrem Umfeld, die altersbedingten Konflikte zu lösen. Darüber hinaus trainiert sie Mitarbeiter in Pflege und Betreuung zum Thema Gewaltprävention und wertschätzende Kommunikation. Wichtigstes Anliegen ist es dabei, mit wertschätzender Kommunikation und Empathie das Leben Pflegebedürftiger, deren Angehörigen und den Mitarbeitern in Pflege und Betreuung angenehmer zu machen.

Kontakt: www.altersmediationszentrum.de

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