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Carola Bleis
Bindegewebe und Faszien – Flexibilität und Struktur
Das Wort Faszien stammt ursprünglich aus dem Lateinischen und bedeutet in etwa „Band“ oder „Bandage“. Form und Funktion im menschlichen Körper gehen jedoch weit über diese Definition hinaus.
Faszien bestehen aus Bindegewebe. Sie umhüllen und durchziehen uns in den Strukturen unter der Haut wie ein feinmaschiges Netzwerk. Sie sorgen aufgrund ihres unterschiedlichen Aufbaus, ihrer Festigkeit für Form, Halt und flexible Funktionalität. So steckt z.B. jeder einzelne Muskel in einer Faszien-Hülle wie in einem Strumpf. Er ist anhand seiner speziellen Form zu erkennen, auch seine Funktion ist klar definiert. Die Faszie ermöglicht ihm das Erfüllen seiner spezifischen Aufgaben.
Faszien umhüllen auch die inneren Organe und sind ebenso im Raum zwischen den Organen zu finden. Wie mehrere Tücher übereinander gedeckt, sichern sie die Position der Eingeweideteile. Damit diese an ihrem zugedachten Platz verbleiben und so auch ihre Funktion gewährleistet wird, ist hier zum einen eine gewisse Stabilität gefragt. Zum anderen müssen Herz, Lunge, Magen & Co. beweglich sein, um ihre Arbeit leisten zu können, weswegen wiederum Flexibilität gebraucht wird. Faszien und Bindegewebe gewährleisten aufgrund ihrer variierenden Elastizität bzw. Festigkeit beides. Sie haben somit einen wichtigen Anteil am gesamten Stoffwechselgeschehen des Körpers.
Für beide notwendigen Komponenten, den Erhalt der Stabilität und die für das physiologische Funktionieren nötige Elastizität der Faszien, sind neben Bewegung und ausgewogener Ernährung auch genügend Flüssigkeitszufuhr und Massage angezeigt.
Faszien- und Bindegewebe ist auch Flüssigkeitsspeicher. Durch ausreichendes Trinken, am besten geeignet ist Wasser, erhöhen wir die Geschmeidigkeit und sorgen damit für einen (im Wortsinn) reibungslosen Nährstofftransport durch den Körper. Nicht zuletzt erhält das die Gesundheit des gesamten Körpers.
Elastisches Fasziengewebe ist ein wichtiger Schlüssel für das Wohlbefinden, die Gesundheit des Menschen. Unsere Beweglichkeit, die Schmerzfreiheit und die physiologische Lymphzirkulation hängen u.a. davon ab.
Fasziengesundheit und ihre Bedeutung
Die Mehrheit der Schulmediziner ging noch vor einigen Jahren davon aus, dass es sich bei Binde- bzw. Fasziengewebe überwiegend um Füll- und Stützmaterial handelt. Zu meiner Zeit der Ausbildung war das noch gängige Lehrmeinung.
Inzwischen sind diese Gewebestrukturen jedoch in den Fokus der modernen (Sport-)Medizin gerückt. Auch viele Laien können heute mit dem Wort „Faszien“ etwas anfangen. Im Fitness-, Beauty- und Wellness-Markt ist es fast eine Art einem Modebegriff geworden, an den so manches Versprechen geknüpft ist. Die Entwicklung der Faszienrolle Ende der 1990er-Jahre hat sicher einen maßgeblichen Anteil an der Popularität dieser Strukturen unter unserer Haut.
Der Humanbiologe Doktor Robert Schleip hat einige Bücher über Fasziengesundheit veröffentlicht. Dr. Schleip war an zahlreichen Forschungen und Studien beteiligt, wobei es immer wieder neue, erweiterte Erkenntnisse zu dem wiederentdeckten Thema gibt.
Der Fitness-Bereich, die Physiotherapie und Reha-Medizin wie auch ganz sicher die moderne Sportmedizin haben seit geraumer Zeit erkannt, dass das Behandeln der Faszien die gesamte Gewebeelastizität erhält oder sogar verbessert. Ebenso trägt es zur Verkürzung der Regenerationszeit bei, wie es z.B. im Leistungssport erwünscht und wichtig ist. Dehnübungen und unterschiedliche Formen der Massage regen den Lymphfluss an, stimulieren und trainieren Bindegewebe und Faszien und wirken zudem auf innere Organe ein. Dieses Wissen hat jedoch bereits eine fast hundertjährige Tradition.
Altes Wissen – neu im Blick
Wirft man einen Blick in die Medizingeschichte, entdeckt man, dass es schon seit vielen Jahrzehnten Therapeuten und Wissenschaftler gab, die die Bindegewebeschichten unter der Haut erforscht haben.
Elisabeth Dicke (1884-1952) und Hede Teirich-Leube (1903-1979)
Schon vor fast 100 Jahren beschäftigte sich die Physiotherapeutin Elisabeth Dicke mit den Theorien und Methoden der Faszien- und Bindegewebsbehandlung. Vielleicht aus einer gewissen Not heraus, denn Frau Dicke litt an einer massiven Durchblutungsstörung des rechten Beins. Durch ihre Selbstbehandlung im Bereich der Gesäßmuskulatur sowie des unteren Rückens, per dehnender Massagestriche, erzielte sie eine eklatante Verbesserung der Beindurchblutung. Die Beschwerden gingen zurück.
Wir wissen heute, dass es der Musculus piriformis sowie die dazugehörigen Faszien sind, die solche Beschwerden verursachen können.
Zurück zu Frau Dicke, sie konnte später sogar eine Nierenkolik lindern. Gezielte Massagestriche, hier im Bereich des Nierendreiecks bzw. Musculus quadratus lumborum, überwiegend ausgeführt mit den Fingerkuppen, halfen gegen die Nierenschmerzen.
Diese auffälligen Erfolge von Elisabeth Dicke sorgten für Aufmerksamkeit bei der Physiotherapeutin und Ärztin Hede Teirich-Leube, die Leiterin einer Schule für Krankengymnastik war. Bei der Überprüfung von Methodik und Wirkung stellten die beiden Frauen fest, dass die manuelle Behandlung von Faszien und Bindegewebe auch die Funktion der inneren Organe beeinflusst. Über den cutiviszeralen Reflex erreicht man mit dieser Massagetechnik die Organe, welche sich im gleichen Segment befinden. Elisabeth Dicke und Hede Teirich-Leube gelten heute als Entwicklerinnen der Bindegewebsmassage.
Ida Rolf (1896-1979)
Annähernd zur gleichen Zeit wie Elisabeth Dicke und Hede Teirich-Leube, interessierte sich in den USA die Biochemikerin Ida Rolf für Faszienstrukturen. Frau Rolf entdeckte, dass durch eine bestimmte Art von Druck- und Zugmanipulation am Muskel, besser gesagt am Bindegewebe/Fasziengewebe, nicht nur die gesamte Körperstatik positiv beeinflusst wird. Denn neben der „falschen“ Körperhaltung verschwanden durch diese Anwendungen auch bestehende Ängste und Depressionen bei den behandelten Probanden. Die nach ihrer Entwicklerin benannte Methode der manuellen Stimulation des Fasziengewebes ist das „Rolfing“. Es ist noch immer eine angewandte Therapie.
James Cyriax (1904-1985)
Auch der englische Orthopäde James Cyriax entdeckte in den 1940/50er-Jahren die Bedeutung des Fasziengewebes. Mit seinen sog. „Querfriktionen“ sorgten er und seine Schüler/innen für eine starke Stimulation von Bindegewebe, Sehnen und Faszien.
Die mit den Fingern oder ausschließlich den Daumen ausgeführten Massagebewegungen werden quer zu betroffenen und im Fokus stehenden Muskeln, Sehnen oder Bändern angesetzt. Die durch dehnenden Druckreiz entstehende Stimulation soll die Regeneration anregen und Schmerzen auflösen.
Stephen Typaldos (1957-2006)
Obwohl die zuvor genannten Personen anerkannte Therapeuten und Wissenschaftler waren, fanden Faszienbehandlungen in der Regel, wie bereits erwähnt, wenig Beachtung und fristeten lange ein Nischendasein. Doch mit der Zeit entdeckten immer mehr Behandler, Heilpraktiker und Mediziner die Bedeutung dieses Gewebes unter der Haut.
Zum Beispiel beschäftigte sich in den 1990er-Jahren der amerikanische Osteopath und Notfallmediziner Stephen Typaldos speziell damit und entwickelte das sog. Fasziendistorsionsmodell (FDM). Auch bei dieser Behandlungsmethode wird das Gewebe durch druckvolle und dehnende Massagegriffe behandelt. Patienten berichten von sehr guten Erfolgen bezüglich Symptomreduktion und Genesung.
Es ist zwar bekannt, dass alles mit allem zusammenhängt; dennoch ist es immer wieder überraschend, dass wir auf einfache Art und Weise enorm viel dazu beitragen können, unser Wunderwerk Körper gesund zu erhalten.
Zentral für die Gesundheit: Prävention – Selbst aktiv werden
Bei den o.g. Anwendungen ist der Patient auf einen gut geschulten Behandler angewiesen, der die speziellen Therapiegriffe fachgerecht durchführt. Eine Anwendung durch einen geschulten Behandler ist, wie ich meine, die optimale Situation.
Für vorbeugende (präventive) Zwecke, sowie ergänzend zur Therapie, kann man sehr gut für sich sorgen. Empfehlenswert (und auch sehr gut möglich) ist es, seine Faszien selbst zu massieren. Von der Faszienrolle über Faszienbälle bis hin zur Erfindung des Faszienkamms gibt es heute wirkungsvolle Hilfsmittel für die Faszien(-selbst)-Massage.
Auch, so haben Untersuchungen ergeben, gehört die mentale Entspannung zu einem gesunden Körper. Diese Erkenntnis ist ja auch schon sehr weit verbreitet. Dass Entspannung aber auch eine positive Auswirkung auf die Elastizität der Faszien hat, ist im Sinne von ganzheitlicher Gesundheit ein zusätzlicher Aspekt. Ein morgendliches „Ritual“ aus Fasziendehnungen bzw. Bewegungsübungen, Massagen und einer Entspannungsübung, sind ein wirksames Mittel, um die Gesundheit zu erhalten. 15-20 Minuten täglich für die Gesundheit.
Anregungen für das tägliche Ritual
Übungen mit der Faszienrolle
Mit diesem Hilfsmittel kann man sehr gut die Faszien des Rückens erreichen:
Legen Sie hierfür die Rolle auf den Boden oder eine Gymnastikmatte. Anschließend setzen Sie sich mit dem Steißbein auf die Rolle und verschränken die Arme vor der Brust. Beide Füße sind fest auf dem Boden aufgestellt. Die Knie gebeugt. Dann rollen Sie sich langsam über die Rolle, bis diese am Hinterkopf angekommen ist. Nach 3-5 Wiederholungen ist diese Rückenbehandlung beendet (Dauer ca. 3 Minuten). Mit der Rolle können Sie auch die Oberschenkel oder das Gesäß behandeln.
Sehr entspannend wirkt die Faszienrolle im Bereich der Muskel-/Faszienansätze am Hinterkopf, der Occipitallinie:
Dafür legen Sie sich auf die Matte, die Faszienrolle setzen sie an der Hinterhauptslinie an:
Anschließend drehen Sie den Kopf langsam und gleichmäßig 3-5 Mal von der einen Seite auf die andere. Damit erreichen Sie eine gute „Ausarbeitung“ des oberen Nackengewebes und der Faszien am Hinterkopf. Für Patienten, die zu Spannungskopfschmerzen neigen, ist dies eine wirkungsvolle Präventivmaßnahme (Dauer ca. 2-3 Minuten).
Übungen mit dem Faszienkamm
Hierbei handelt es sich um ein neu entwickeltes Faszien-Massagetool, das ebenfalls eine sehr einfach durchzuführende Selbstmassage des gesamten Körpers ermöglicht. Die Anwendung kann täglich erfolgen, am besten morgens (Dauer ca. 5 Minuten).
Und so funktioniert’s:
- Nehmen Sie den Kamm in die rechte Hand und beginnen Sie, diesen mit langsamen, gleichmäßigen „Strichen“ den rechten Unterschenkel entlang aufwärts in Richtung Knie zu ziehen. Danach behandeln Sie in gleicher Weise den rechten Oberschenkel und das rechte Gesäß bis zum unteren Rücken. Wiederholen Sie diese Massagestriche 3-5 Mal. Anschließend führen Sie dieselben Aktionen an Ihrem linken Bein und Gesäß inkl. unterem Rücken aus.
- Als nächstes folgt der Bauch:
Ziehen Sie dafür den Faszienkamm von oberhalb der rechten Leiste beginnend bis zum unteren Rippenbogen unterhalb der Brust. Die nächste Massagelinie verläuft in der Mitte von unten, beginnend oberhalb der Schambehaarung, über den Bauchnabel wieder bis unter die Brust. Die dritte Massagelinie ziehen Sie, jetzt von links unten, oberhalb der Leiste beginnend, wie auf der rechten Seite bis hoch zur Brust. Auch hier führen Sie 3-7 Wiederholungen der einzelnen Strichführungen durch. - Anschließend behandeln Sie die Faszien im Bereich der Brustmuskulatur:
Ziehen Sie den Kamm (in der linken Hand) dafür von der Mitte des Brustbeins beginnend (unterhalb des Schlüsselbeins und oberhalb des Busenansatzes) in Richtung rechte Schulter. Nach 3-5 Wiederholungen behandeln Sie die linke Seite des Brustmuskels in gleicher Weise. - Nun massieren Sie Ihren rechten Arm vom Handrücken bis zur Schulter. Nach 3-5 Wiederholungen drehen Sie den Arm und behandeln die Innenseite von der Handinnenfläche bis zur Achselhöhle. Auch hier werden 3-5 Wiederholungen ausgeführt. Danach wird der linke Arm in gleicher Abfolge behandelt.
- Abschließend folgt die Massage des Nackens. Dafür legen Sie den Faszienkamm rechts am Hinterkopf an und ziehen ihn mit sanftem Druck nach unten in Richtung Schulter. Nachdem Sie diese Massagestriche 3-5 Mal ausgeführt haben, behandeln Sie die linke Seite des Nackens in gleicher Form. Damit ist die Faszienmassage beendet.
Tipp für die Praxis
Der Faszienkamm ist auch für Therapeuten ein geeignetes Hilfsmittel, da sich damit eine Bindegewebs-/Faszienmassage am Patienten ausführen bzw. unterstützen lässt (hier besonders bezogen auf die Gesäßmuskulatur im Bereich des musculus piriformis und bei Spannungsschmerz der Bereich des musculus trapezius/Nackenbereich an der Occipitallinie beginnend).
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Über die Autorin:
Carola Bleis ist Physiotherapeutin, Yoga- und Feldenkrais-Lehrerin, Systemischer Coach und Autorin.
Schwerpunkte: Bewegungstherapie, Massage, Wellness
Kontakt: info@carolableis.de
www.faszieology.com